Die sozialpolitische Lage in Kongo-Kinshasa

von Malinda Serge
Leipziger Straße 64
04600 Altenburg



Ich möchte Ihnen gern die politische und soziale Situation schildern, die zur Zeit in meinem Land, der Demokratischen Republik Kongo, herrscht. Es ist bekannt, daß mein Land gerade den Bürgerkrieg durchlebt. Diese Situation hat natürlich eine Bevölkerungsverschiebung bzw. Bevölkerungsvertreibung von ihrem Wohnort zur Folge. Die Bilder von Vertriebenen, getöteten Zivilisten und Hungernden, die Sie in der internationalen Presse sehen, geben Ihnen den Eindruck, daß es sich um ein Land handelt, in dem sich die Menschen nur »abschlachten«, um die Macht zu übernehmen, bzw. zu kontrollieren. Diese Bilder erlauben Ihnen nicht, eine Analyse zu erstellen, um genauer zu wissen, wer dieses Land beherrscht.

Zaire, das sich heute wieder »Demokratische Republik Kongo« nennt, ist einer der reichsten Staaten der Welt. Unsere Naturreichtümer sind so immens, daß die großen Mächte dieser Erde unser Land unter ihre Kontrolle bringen wollen, um ihre eigenen Interessen zu verwirklichen. So hat z.B. das Königreich Belgien, als ehemalige Kolonialmacht, gemeinsam mit den USA über 32 Jahre lang eine in der Welt so verrufene und von meinem Volk so erbittert bekämpfte Diktatur unterstützt. Sobald sich dieses diktatorische Regime in Gefahr befand, zögerten die Franzosen und belgier nicht, dem Diktator Mobuto ihre militärischen Truppen zu Hilfe zu schicken, während dieser von Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte als Diktator angeklagt wurde, der nicht einmal die elementarsten Rechte seines Volkes achtete. Dieser Mann war zu Lebzeiten einer der reichsten Menschen dieser Welt, während sein Volk im schlimmsten Elend verkam.

Aus diesem Grund hat sich das kongolesische Volk - vor allem die Jugend - mobilisiert und kämpft gegen die demütigenden Bedingungen, die ihm aufgezwungen wurden. Es will seine Rechte und Freiheiten erlangen und darüber hinaus die amerikanische Vorherrschaft zurückdrängen, die lange Zeit dieses Regime aus strategischem Interesse unterstützte. Es waren die Amerikaner, die im Jahre 1961 bei der Ermordung unseres Nationalhelden Patrice Lumumba ihre Hände im Spiel hatten, weil dieser ein vom Kolonialjoch befreites Afrika anstrebte, frei von allen imperialistischen Einflüssen.

Ohne Freiheit besitzt der Mensch weder Würde noch Lebensfreude. Wir kämpfen für die Freiheit, auf die Sie bereits ein Recht haben. Wir kämpfen dafür, diese Freiheit in unserem Land genießen zu dürfen, in einem Land, dessen unrechtmäßiges Regime wir bekämpft haben. Dies waren auch die Umstände, die uns zwangen, unser land zu verlassen, um zu überleben. Viele unserer Mitkämpfer wurden ermordet, andere gefoltert, weil sie - wie wir - ihre Rechte und Freiheiten verlangten, so wie ihre landsleute das deutsche Territorium verlassen mußten, weil sie während des 2. Weltkrieges gegen das Nazi-Regime kämpften. Daher findet man große Gemeinden von Deutschen in Argentinien, Brasilien und selbst in einigen afrikanischen Staaten, wie Simbabwe, Namibia und Botswana. Sie sind seit langem in den Ländern, die sie einst aufnahmen, integriert und genießen dort als »Einheimische« alle Rechte und Freiheiten.

Das Elend der afrikanischen Staaten wurde im Jahre 1884 in Berlin durch die großen Weltmächte bestimmt. Unter dem Vorwand, die Sklaverei zu bekämpfen, teilten die europäischen Staaten unter sich Afrika in Gebiete auf und stellten diese unter ihren wirtschaftlichen Einfluß. Ohne sozio-kulturelle Gegebenheiten zu respektieren, zerstörten sie dabei die bestehenden politischen Strukturen und verbanden Völker, die nicht gewillt waren, gemeinsam zu leben. Sie zwangen uns die Kolonialpolitik auf, während bei ihnen zu Hause bereits eine Reihe von Menschenrechten in der Verfassung verankert waren.

Zurück zur aktuellen Situation in meinem Land. Das Ende der Mobuto-Diktatur wurde herbeigeführt durch das Ende des Ost-West-Konfliktes. Mobuto war Antikommunist, nicht aus Überzeugung, sondern eher den Umständen entsprechend. Folglich unterstützten ihn die westlichen Länder bedingungslos, um somit ihre strategischen Interessen zu schützen.

Als sich im Jahre 1990 beide Teile Ihres Landes vereinigten, läuteten die Totenglocken das Ende der Diktatur im Kongo ein. Auch die Amerikaner benötigten kein störendes Regime mehr, so daß der amerikanische Botschafter in Kinshasa ohne Scham und ohne die geringste Diplomatie sagte: »... ob Sie es wollen oder nicht, der Kalte Krieg ist beendet und wir Amerikaner benötigen keine dekadenten Regierungen mehr, um unseren Einfluß zu sichern ...«. In diesem Rahmen gründete die Gruppe um den heutigen (selbsternannten) Präsidenten eine bewaffnete Bewegung, die durch die Regierungen in Ruanda, Uganda und Angola unterstützt wurde. Diese Länder beabsichtigten damit, ihre Grenzen zu Zaire zu schützen, wo sich Rebelleneinheiten organisierten. So konnte das Mobuto-Regime gestürzt werden. Das Ende des Kalten Krieges war der bestimmende Faktor für das Ende der Mobuto-Diktatur, was auch dem Willen der amerikanischen Außenpolitik entsprach. Jetzt beabsichtigt sie, das Potential des afrikanischen Marktes für sich auszubeuten. In diesem Zusammenhang ist auch die Rundreise des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton zu sehen, der - wie auch seine über 400 Begleiter aus der Wirtschaft - seinen Hunger auf Gewinn stillen möchte. Die französische Tageszeitung »Le Monde« hat einen Artikel ihrer Sonderkorrespondentin Kauffman veröffentlicht. Dieser beinhaltet, daß in Anwesenheit amerikanischer Militärs in Ruanda, die Kabila-Bewegung, mit Unterstützung der Tutsi-regierten ruandischen und ugandischen Regime, den Völkermord des alten Regimes an den ruandischen Hutu-Flüchtlingen in der Demokratischen Republik Kongo rächte. So wurden nach bestätigten Berichten der internationalen Untersuchungskommission (geleitet von Herrn Roberto Garenton) auf dem kongolesischen Territorium Massaker an den Hutu-Flüchtlingen begangen. Frau Mary Robison, Vertreterin des Hohen Flüchtlingskommissariats in Genf, plädierte für die Anklage von Laurent-Desiree Kabila und Paul Kagame (der starke Mann in Ruanda) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Der Regierungswechsel im Kongo war also nicht das Ergebnis einer revolutionären Bewegung, sondern wurde vielmehr durch das Ende des Kalten Krieges bestimmt, wie auch vom Überlebenswillen der Nachbarländer Kongos. Unser altes Regime wurde durch eine andere Diktatur abgelöst, die, wie jede andere ihrer Art, das Ziel unseres Volkes zunichte machen will, seine Rechte und Freiheiten zu genießen.

Das Ende der Apartheid in Süd-Afrika wirft an der Schwelle des 21. Jahrhunderts seine Schatten auf ganz Afrika. In diesem neuen Jahrhundert wird weltweit anerkannt werden müssen, daß Afrika nicht nur die Wiege der Menschlichkeit, sondern auch der Menschheit ist. Denn schon die Europäer des Altertums (Überlieferungen der griechischen Antike belegen das) kamen nach Afrika, nach Ägypten, um hier ihr Wissen zu bereichern.



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